Eine große Koalition für eine große Reform des Sexualstrafrechts. Der LandesFrauenRat SH hat den Offenen Brief an Bundeskanzlerin Merkel und die Mitglieder des Deutschen Bundestages unterzeichnet!
Offener Brief an Bundeskanzlerin Merkel und die Mitglieder des Deutschen Bundestags
Eine große Koalition für eine große Reform des Sexualstrafrechts
Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,
sehr geehrte Frau Abgeordnete,
sehr geehrter Herr Abgeordneter,
die Zeit ist reif – reif für eine große Reform des Sexualstrafrechts. Wie
1997, als eine große Koalition von Bundestagsabgeordneten nach fast 25-jähriger Debatte in beeindruckender Einigkeit und mit überwältigender Mehrheit für die Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe stimmte. Ein historischer Schritt im Kampf gegen sexualisierte Gewalt und für die sexuelle Selbstbestimmung.
Heute, knapp zwanzig Jahre später, steht der Bundestag erneut vor einer solchen Situation. Sie, als Mitglied des Bundestags, können bei der aktuellen Sexualstrafrechtsreform einen ähnlich bedeutsamen Schritt gehen.
Sexualisierte Gewalt ist nach wie vor ein schwerwiegendes gesellschaftliches Problem. Nur die wenigsten stattfindenden Vergewaltigungen werden durch die Betroffenen überhaupt angezeigt. Von den zur Anklage gebrachten Fällen wird nur ein sehr geringer Teil abgeurteilt. Das liegt auch am Strafrecht, das derzeit gravierende Schutzlücken für die Betroffenen enthält. In einer Reihe von aktuellen Analysen und Gutachten sind Fallgruppen aufgezeigt, in denen Frauen klar „Nein“ sagen, der Täter das übergeht und seine sexuellen Übergriffe dennoch straflos bleiben.
Mittlerweile haben verschiedene europäische Länder, zuletzt Österreich, einen anderen rechtlichen Ansatz
gewählt. Sie stellen bei der Beurteilung der Strafbarkeit darauf ab, ob die Betroffenen die sexuelle Handlung
für den Täter erkennbar ablehnen.
Der vorliegende Regierungsentwurf für eine Neufassung der §§ 177, 179 (Sexuelle Nötigung/ Vergewaltigung
und Sexueller Missbrauch widerstandsunfähiger Personen) StGB ist ein erster Schritt in die richtige
Richtung. Er schließt einige Schutzlücken. Leider vollzieht er aber keinen grundlegenden Paradigmenwechsel.
Das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung ist auch weiterhin nicht an sich geschützt. Übergriffe bleiben
weiterhin straffrei, auch wenn die von Gewalt betroffene Person ihren entgegenstehenden Willen
bekundet und sich der Täter darüber hinweggesetzt hat. Maßgeblich bleibt also das Verhalten der
geschädigten Person und nicht des Täters bei der Be- und Verurteilung.
Das widerspricht menschenrechtlichen Vorgaben wie dem Übereinkommen des Europarats zur Verhütung
und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul-Konvention). Danach müssen
die Staaten alle sexuellen Handlungen gegen den Willen der Betroffenen unter Strafe stellen. Diese Konvention wurde bislang von der Bundesrepublik Deutschland nicht ratifiziert. Sie darf aus unserer Sicht auch dann nicht ratifiziert werden, wenn der vorliegende Regierungsentwurf Gesetz wird.
Wir rufen Sie zu einer großen Koalition für ein „Nein heißt Nein“ auf.
Wir fordern eine zeitgemäße und menschenrechtskonforme Weiterentwicklung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf ist den meisten Betroffenen weiterhin nicht geholfen. Ist das Gesetz einmal beschlossen, wird es absehbar keine große Reform des Vergewaltigungsparagraphen geben. Daher appellieren wir an Sie, sich jetzt im parlamentarischen Verfahren
dafür einzusetzen, dass der Paradigmenwechsel konsequent vollzogen wird.
Wir fordern eine weitergehende Debatte unter Begleitung der zivilgesellschaftlichen Organisationen und einen neuen historischen Schritt bei der Bekämpfung sexualisierter Gewalt – wie schon 1997.
Bündnis Nein heißt Nein
bff – Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe e.V.
Deutscher Frauenrat e.V.
Deutscher Juristinnenbund e.V. (djb)
Frauenhauskoordinierung e.V.
KOK – Bundesweiter Koordinierungskreis gegen Menschenhandel e.V.
TERRE DES FEMMES e.V.
UN Women Nationales Komitee Deutschland e.V.
ZIF – Zentrale Informationsstelle Autonomer Frauenhäuser e.V.
26. April 2016